ZIELE DES VEREINS
Die trialogische Initiative Vorurteilsfrei e.V. versucht die gesellschaftliche Akzeptanz von psychischen Krisenerfahrungen zu verbessern und Stigmatisierung gegenüber betroffenen Menschen zu verringern.
Die Gründung als trialogische Arbeitsgruppe erfolgte 2021 und wurde in Vereinsstrukturen überführt. Die Gruppe arbeitet prozessorientiert, auf Basis von Konsensentscheidungen und unter Leitung von Menschen mit eigener Krisenerfahrung. Das gewählte Beteiligungsformat des Trialogs vereint;
a) Perspektiven von Menschen mit eigener Krisenerfahrung,
b) Perspektiven von deren Angehörigen und Freund:innen und
c) Perspektiven von Menschen, die professionell im psychosozialen und psychiatrischen Hilfssystem arbeiten (Sozialarbeit, Psychiatrie, Psychotherapie, etc.).
Dieser wirkungsvolle Ansatz zur Entstigmatisierung ermöglicht Partizipation nicht nur in Forschungsprojekten, sondernkann auch in zivilgesellschaftlichen, institutionellen und politischen Arbeitsprozessen aktiv zu einer offeneren und inklusiveren Gesellschaft beitragen. Die Erkenntnisse der Forschung zu Stigmatisierung verdeutlichen, dass die Arbeit zur Entstigmatisierung nur durch und mit eigenen Erfahrungen mit psychischen Krisensituationen erfolgreich und nachhaltig gelingt (Dalky 2012; Pomowski 2018; Corrigan 2012). Die Arbeit wird als praktische Umsetzung der vorhandenen Forschungsergebnisse gelebt und soll den wissenschaftlichen Diskurs mit seiner Perspektivenvielfalt bereichern.
Betroffenengeleitete Forschung und Intervention
POLIZEIPROJEKT
Die Arbeit in den Bereich der Interventionen zur Entstigmatisierung (zielgerichtete Veranstaltungen, um für Vorurteile zu sensibilisieren und diese abzubauen) wurde zum Projektstart mit einer eigenen, betroffenengeleiteten Forschung zur Wirksamkeit dieser Veranstaltung im Hinblick auf Stigmatisierung verbunden. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf dem Bereich der Einsatzkräfte, die als Multiplikatoren fungieren und häufig Kontakt mit Menschen in psychischen Krisen erleben.
Das von Menschen mit eigner Krisenerfahrung geleitete Forschungsprojekt zur Wirksamkeit von trialogischen Interventionen bei Polizeischüler*innen aus Leipzig wurde an die vorhandenen Erkenntnisse in diesem Bereich angelehnt (Pomowski 2018; Wittmann et al. 2021) und startete 2021. Zur Erfassung von allgemeinen und stigmatisierenden Haltungen von Polizeischüler*innen wurde ein Pre- und Post-Fragebogen erstellt, in dem die tatsächlichen Erfahrungswerte von Menschen mit psychischer Krisenerfahrung im Polizeikontakt eingebracht wurden.
Die Interventionen erfolgen seit 2021 in Zusammenarbeit mit der Betroffeneninitiative Durchblick e.V. Der Ablauf am Projekttag umfasst eine geleitete Führung durch das sächsische Psychiatrie Museum und anschließend einen trialogischen Austausch mit Diskussion über die Tragweite und wirksame Lösungsansätze und -strategien im Kontakt von Menschen in psychischer Krise während eines Polizeieinsatzes. Die Ergebnisse der Auswertung und die Rückmeldung der Teilnehmenden bestätigen die bisherigen positiven Forschungsergebnisse in diesem Bereich und deuten auf eine signifikante Reduktion der stigmatisierenden Haltungen an. Die positive Resonanz der Polizeischüler*innen bestätigen die qualitativen Ergebnisse. Darüber hinaus wird die Teilnahme an den Veranstaltung durch Menschen mit eigener Krisenerfahrung als selbstwirksam und bestärkend beschrieben.
SOZIALRECHT
Im Bereich des Sozialrechts konnte die Regelung der sogenannten Blockfrist als strukturell Stigmatisierung für Menschen mit länger andauernder Krisenerfahrung identifiziert werden. In der Sozialgesetzgebung ist ein Krankengeldanspruch von maximal 78 Wochen aufgrund der selben Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von 3 Jahren verankert (Bundesministerium für Justiz 1988). Dies kann zu einer Aussteuerung führen, die nicht nur ein Ende der Krankenversicherung, sondern auch den Wegfall von Sozialleistungen bedeutet. Für betroffene Menschen bedeutet dies ein Wegfall von lebenswichtigen Leistungen und eine komplexe sozialrechtliche Konstellation, die in der Regel zu weitreichenden Konsequenzen und zu einer deutlichen Verschlechterung der Gesamtsituation führen kann.
Seit 2021 wird an einer Stellungnahme gearbeitet, die diesen Umstand als unzumutbar für Menschen in einer langen Krankheitsphase beschreibt und zielgerichtete, ressourcenorientiere Lösungen fordert. Anschließend ist eine Kooperation mit relevanten Organisationen der Selbsthilfe und psychosozialen Versorgung geplant, um eine Petition für eine entsprechende Gesetzesänderung vorzubereiten.
VERANSTALTUNGEN
Im Bereich der Veranstaltungen konnte anlässlich des Welttags der Seelischen Gesundheit am 10.10.2021 ein Event im Durchblick e.V. realisiert werden. Verschiedene Betroffenen-geleitete und psychosoziale Projekte stellten sich vor, darunter das Boot gGmbH, eine Vertreterin von EX-IN Sachsen e.V. oder die SKISS Leipzig. Die Veranstaltung fand unter damalig geltenden Hygienevorschriften statt und wurde mit etwa 70 Personen gut besucht. Eine Fortsetzung ist für 2024 geplant.
EVIO
Kooperationsprojekt
Im Juli 2023 startete ein gemeinsames Forschungsprojekt in Kooperation von Vorurteilsfrei e.V. mit der Uniklinik Leipzig, Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie. In diesem geht es um Gewalterfahrung von Menschen mit psychischen Krisenerfahrungen im Kontext sozialer, biografischer und institutioneller Faktoren.
Die Kooperation gestaltet sich im Sinne einer partizipativen Forschungsbeteiligung, für welche sich auch weitere Interessenten, in Form von Einbringung ihrer Perspektive durch eigene Erfahrungen mit psychischen Krisen, bei uns melden können.
Weitere Informationen zum Projekt unter: https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/psychiatrie-psychotherapie/Seiten/Gewalterfahrungen-von-psychisch-erkrankten-Personen-.aspx
Bei Interesse an einer Teilnahme mit Perspektive aus eigener Krisenerfahrung wenden sie sich gerne an: vorurteilsfrei@posteo.de
VORURTEILSFREI GEFRAGT
Interviewreihe
In dieser Interviewreihe befragen wir im psychosozialen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Bereich tätige Personen aus der Versorgung, Forschung & Lehre und Politik zu ihren Erfahrungen in Bezug auf Ressourcen und Herausforderungen in ihrer Tätigkeit.
Die Interviews erscheinen in regelmäßigen Abständen ab Q3/2024 auf der Homepage des Vorurteilsfrei e.V. und sollen der Leserschaft einen tieferen Einblick in verschiedene Bereiche des komplexen psychosozialen Hilfssystems bieten.
PERSPEKTIVEN
In dieser Rubrik finden sich Erfahrungsberichte aus allen am Projekt beteiligten Perspektiven auf die einzelnen Arbeitsschritte, den Prozess und das Projekt selbst.
ACHTUNG!
Bitte beachten Sie, dass die Angebote des Vorurteilsfrei e.V. keinen Ersatz für eine ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung bieten. Sollten Sie sich in einer akuten Krisensituation befinden, wenden Sie sich umgehend an Ihren Arzt, die nächstgelegene psychiatrische Klinik oder den Kassenärztlichen Dienst (Tel. 116 117). Eine Übersicht zu psychosozialen Hilfsangeboten in der Stadt Leipzig finden Sie unter: https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/gesundheit/psychiatrische-und-psychosoziale-hilfe